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In christlicher Zuversicht Zeichen menschlicher Nähe setzen

Das Seniorenzentrum Emmaus in Ebersdorf ist besonders hart vom Pandemiegeschehen getroffen. Doch das ist nicht das einzige Haus, in dem vermehrt Coronainfektionen festgestellt werden mussten. Inzwischen gelangen viele unserer Mitarbeitenden an die Grenzen des Möglichen.
Die Ostthüringer Zeitung hat mit Dr. Klaus Scholtissek, dem Vorsitzenden der Geschäftführung der Diakoniestiftung, über die aktuelle Situation in unseren Einrichtungen im Saale-Orla-Kreis gesprochen.

Herr Scholtissek, zu welchem Zeitpunkt und aus welchem Grund ist jetzt im Herbst das Pandemiegeschehen in den Diakonie-Einrichtungen außer Kontrolle geraten?

Thüringen und alle anderen Bundesländer befinden sich in einer Pandemie von nationaler und globaler Tragweite. Der Saale-Orla-Kreis gehört mit den Inzidenzwerten der letzten Wochen zu den am stärksten betroffenen Landkreisen. Die Behörden und insbesondere das Gesundheitsamt, mit dem wir sehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten, stehen seit Monaten unter starker Belastung. Das Infektionsgeschehen in unseren Einrichtungen entwickelt sich seit Anfang November analog der auch sonst leider üblichen Ausbreitung. Die Aussage, „das Pandemiegeschehen ist in den Diakonie-Einrichtungen außer Kontrolle geraten“ trifft nicht zu. Tatsächlich ist es in mehreren Einrichtungen zu einem großen Infektionsgeschehen gekommen. Das gilt aktuell für die Wohnstätten für Menschen mit Behinderungen in Stelzen und Gefell und galt im Oktober für die Wohnstätte Michaelishaus in Schleiz. Im Bereich der Pflege gilt dies für das Seniorenzentrum Emmaus in Ebersdorf. Aktuell finden umfangreiche Testungen bei Mitarbeitenden und Beschäftigten der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in Altengesees sowie den angegliederten Wohnstätten statt. Im Saale-Orla-Kreis gibt es weitere Einrichtungen in Trägerschaft der Diakoniestiftung Weimar-Bad Lobenstein, in denen es entweder kein Infektionsgeschehen oder nur einzelne Quarantänefälle gegeben hat oder weiterhin gibt, die nicht durch einrichtungsbezogene Kontakte verursacht sind.

Gab es vorsorgliche Testungen in Einrichtungen wie Stelzen, Emmaus Ebersdorf und den Werkstätten Altengesees?

Alle Einrichtungen arbeiten nach gültigen Pandemieplänen und vom Gesundheitsamt anerkannten Hygienekonzepten. Daraus ergibt sich, dass bei vorhandener Symptomatik Ärzte eingebunden werden und gegebenenfalls PCR-Tests durch das Gesundheitsamt durchgeführt werden. Bei positiven Befunden ordnet das Gesundheitsamt weitere Schritte an. Vorsorgliche Tests in Form von Antigen-Schnelltests werden in den Einrichtungen bei Verdachtsfällen durchgeführt. Im Seniorenzentrum Emmaus wurden die Testungen schon sehr frühzeitig angewandt, nachdem Ende November die erste Lieferung der Tests angekommen war. In der Eingliederungshilfe sind diese in Thüringen erst seit 4. Dezember erlaubt. Am 12. Dezember gab es in Eigeninitiative in den Werkstätten Altengesees umfangreiche Schnelltests bei den Mitarbeitenden, ausgewählten Beschäftigten und Fahrdienstpersonal, nachdem wir tags zuvor die Nachricht eines positiven Befundes bei einer Mitarbeiterin erhalten haben. Ab 14. Dezember kamen nur Beschäftigte und Mitarbeitende in die Werkstatt, die nachweislich nicht infiziert sind. Nach einer Positivtestung einer Klientin wurden am 14. und 15. Dezember die Außenwohngruppe Am Topfmarkt sowie die Wohnstätte Am Kießling – beides Einrichtungen in Bad Lobenstein – und ebenso die Wohnheime in Altengesees durch Schnelltests getestet. Hierbei hatten mehrere Klienten und auch Mitarbeiter positive Ergebnisse. In diesem Zuge finden aktuell die PCR-Testungen durch das Gesundheitsamt statt, so dass zum aktuellen Zeitpunkt noch keine genauen Infektionszahlen bekannt sind.

Wie viele Mitarbeiter und Bewohner der diakonischen Einrichtungen sind bis zum jetzigen Zeitpunkt positiv auf Sars-Cov-2 getestet, an Covid-19 erkrankt und im Zusammenhang mit Covid-19 verstorben?

In den Einrichtungen sind folgende Mitarbeitende aktuell positiv getestet und in Quarantäne: Seniorenzentrum Emmaus 16, Wohnstätte Gefell vier, Wohnstätte Stelzen zehn. In der Wohnstätte Gefell gab es in der vergangenen Woche einen Todesfall im Zusammenhang mit Covid-19, im Seniorenzentrum Emmaus aktuell sieben Todesfälle.

Wie viele Quarantänemaßnahmen mussten bislang in den Einrichtungen bei Mitarbeitern verhängt werden und wie ist der aktueller Stand?

In den Einrichtungen sind aktuell folgende Quarantänen für Mitarbeiter angeordnet: im Seniorenzentrum Emmaus 16, in der Wohnstätte Gefell sechs und in der Wohnstätte Stelzen elf.

Werden weiterhin Mitarbeiter aus den Wohnbereichen in Kleinbussen in die Werkstätten Altengesees gebracht und welche Maßnahmen gibt es hierbei, um Infektionen auszuschließen?

Mit Aufkommen des erhöhten Infektionsrisikos im Saale-Orla-Kreis wurden die privat wohnenden Beschäftigten getrennt von den Beschäftigten aus den Wohnstätten in den Kleinbussen gefahren. Auch für die Fahrdienste bewegen wir uns innerhalb der gültigen Hygienekonzepte. Sobald eine Einrichtung in Vollquarantäne versetzt wird, ist es selbstverständlich, dass die Arbeit in den Werkstätten eingestellt wird. Alle anderen Beschäftigten in den Werkstätten arbeiten unter besonders strengen Vorkehrungen.

Wie kam es zum Hilferuf der Diakoniestiftung bezüglich personeller Unterstützung für das Seniorenzentrum Emmaus Ebersdorf?

Im Seniorenzentrum Ebersdorf kam es in ganz kurzer Zeit zu einer starken Infektionswelle. Da auch viele Mitarbeitende positiv getestet wurden und zudem Kolleginnen und Kollegen als Kontaktpersonen ebenfalls in Quarantäne versetzt wurden, sind die Dienstpläne und die dafür geltenden Personalschlüssel akut gefährdet. Die Pflegekräfte und Pflegefachkräfte arbeiten seit Monaten am Limit und Vertretungskräfte können nur in sehr eingeschränktem Maß gewonnen werden. Wie dem Pflegeheim Emmaus geht es vielen anderen Seniorenzentren in Thüringen auch: Die Mitarbeitenden stehen zwischen den Anforderungen der Pflege über 24 Stunden an sieben Tagen und den geforderten Schutzbestimmungen für die zu Pflegenden und für sich selbst und ihre Familien. Dieser Spagat kostet sehr viel Kraft und kann auch über Grenzen hinausführen.

Halten Sie die jetzt im Saale-Orla-Kreis und in Thüringen geltenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens für angemessen und ausreichend?

Ja. Gerade die Verletzlichkeit und höhere Schutzbedürftigkeit von Menschen, die gepflegt werden, und Menschen, die Assistenz im Alltag benötigen, gebietet starke Einschränkungen. Einem Recht des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren können wir als Diakonie niemals zustimmen. Unsere Wertorientierung ist exakt andersherum: Um der Schwächeren willen gilt für die Stärkeren die Verpflichtung zur Selbstbeschränkung und zu konkreter uneigennütziger Hilfe und Unterstützung. Die OTZ hat kürzlich berichtet und wir haben das auch erfahren, dass das Gesundheitssystem an Grenzen stößt und konkret die Zuweisung von Covid-19-Patienten in ortsnahe Kliniken teilweise nicht mehr möglich ist. Ich stimme den Beschlüssen des Landratsamtes und des Krisenstabes zu und bin davon überzeugt, dass es zielführend ist, die Verantwortungsträger und Entscheider darin zu unterstützen und ihnen für diesen Weg auch ausdrücklich zu danken.

Welche Gedanken bewegen Sie, wenn die gegenwärtige Pandemie – teilweise selbst von Ärzten – verleugnet oder verharmlost wird?

Für mich ist die Ablehnung der Maskenpflicht, die Verharmlosung des Virus, die Ausblendung der längst eingetretenen, sichtbaren Folgen für Mitmenschen und die ihnen zustehende bestmögliche gesundheitliche Versorgung mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar. Die Fakten liegen auf dem Tisch und werden in den Antworten hier auch überdeutlich erkennbar. Mein Dank gilt auch der OTZ für die klare Positionierung in dieser Frage.

Wie wird das Weihnachtsfest in den diakonischen Einrichtungen, insbesondere den Wohnstätten ablaufen?

Alle größeren Weihnachtsfeiern – sowohl intern als auch mit externen Gästen – haben wir seit langem abgesagt. Für hausinterne Treffen im kleinen und kleinsten Kreis gelten die Hygienebestimmungen. Es wird darum gehen, in christlicher Zuversicht Zeichen menschlicher Nähe zu setzen – sei es durch weihnachtliche Musik, durch Dekoration, durch besondere Speisen, durch Gespräche und geteilte Erinnerungen, durch eine über Lautsprecher übertragene Andacht, durch Videoformate, durch hoffentlich mögliche Besuche. Menschen mit Behinderungen haben auch die Möglichkeit, ihre Angehörigen zu besuchen und dort im familiären Kreis zu feiern.

>>> OTZ 18.12.2020, Interview Dr. Klaus Scholtissek

Interview: Peter Hagen OTZ/ Archiv-Bild: Peter Michaelis