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TA / OTZ - Interview zum 7. Sozialkongress

Die Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein plant eine Tagung zur Digitalisierung in der Sozialbranche in Erfurt. Über Chancen und Risiken sprachen wir mit dem Geschäftsführer Klaus Scholtissek.


Warum ist es notwendig, einen Kongress über die Digitalisierung in der Sozialbranche zu veranstalten?

Für den Sozialbereich ist die Digitalisierung eine Herausforderung, weil sie für viele Mitarbeiter und Führungskräfte Neuland bedeutet.

Wir arbeiten natürlich mit elektronischen Medien, aber die neuen Projekte, die angekündigt werden, stellen uns alle vor erhebliche Herausforderungen, in denen wir Chancen und Risiken sehen.

Welche Chancen sehen Sie?

Neue technische Entwicklungen können Menschen mit Einschränkungen, mit Förder- oder Pflegebedarfen dabei helfen, ihre persönliche, selbstbestimmte Teilhabe im Leben besser verwirklichen zu können.

Wie sieht das konkret aus?

Wir betreuen eine Frau, die nicht sprechen kann, und die dank eines speziellen iPads nun kommuniziert. Damit wird ein erheblicher Ausschluss aus der Kommunikation überwunden.

Ein anderes Beispiel: An der Fürstin-Anna-Luisen-Schule Bad Blankenburg lernt eine Schülerin, die nicht sprechen und aufgrund ihrer starken spastischen Einschränkungen keine Tastatur bedienen kann.

Für sie gibt es einen Computer, den sie mit den Augen steuern kann. Nach einem Lernprozess von zwei Jahren kann sie sich nun ausdrücken, was sowohl in der Schule als auch privat in ihrer Familie sehr hilfreich ist.

Wo sehen Sie Risiken der Digitalisierung?

Wenn App-basierte Assistenzsysteme die persönliche Betreuung durch Fachkräfte ersetzen sollten, wäre das fachlich fragwürdig. Dieser Prozess kann dadurch verstärkt werden, dass es seitens der

Kostenträger ein Interesse daran gibt, auch Kosten beim Personal durch den Einsatz von technischen Möglichkeiten zu reduzieren.

Also votieren Sie gegen einen Pflegeroboter?

Das sehe ich in der Tat sehr skeptisch. Technik kann die menschliche Pflege begleiten, unterstützen und damit entlasten, wie beispielsweise Hebe­einrichtungen für Menschen in Pflegebetten.

Genauso sollte auch die Digitalisierung wirken: Dass durch intelligente Technik sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen und Fachkräfte eine Entlastung entsteht, die mehr Zeit schenkt für die unmittelbare menschliche Begegnung.

Liegt angesichts der demografischen Entwicklung nicht gerade in der Telemedizin eine Chance, die Versorgung auf dem Land zu erhalten?

Ich denke, dass die Telemedizin eine unterstützende Dienstleistung für den Patienten bringen kann, wenn klargestellt ist, dass es einen behandelnden, verantwortlichen Arzt gibt, der mit dem Patienten in einem persönlichen Gespräch und Verhältnis steht.

Wäre Ähnliches für den kurzen Draht zum Pflegedienst denkbar?

Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Beispielsweise könnte es für die Senioren auf diesem Wege einfacher sein, die Sozial­station und die Pflegekräfte zu erreichen, wenn sie Hilfe erbitten möchten.

Wie weit ist die Digitalisierung in Ihren Pflegediensten fortgeschritten?

Wir erfassen die Patientenakten bislang noch nicht elektronisch. Das steht bald bevor, zumal wir damit rechnen, dass wir von den Krankenkassen dazu verpflichtet werden. Im Moment bereiten wir ein Modellprojekt vor,

dass unsere Schwestern die Leistungserfassung elektronisch erledigen, so dass keine Dokumentation per Hand und manuelle Verarbeitung für die Leistungsabrechnung notwendig sind.

Hat jede Pflegekraft schon einen Tablet-Computer?

Ein Telefon ja, aber noch kein Tablet. Das wird aber die Zukunft: Die Leistungserfassung und Dokumentation erfolgt unmittelbar vor Ort. Das entlastet auch, weil die Dokumentation sonst häufig nach der Tour zu erledigen ist.

Die Netzabdeckung in ländlichen Regionen war viele Jahre schwach in Thüringen. Sind solche Ansätze überhaupt realistisch?

Wir haben schon einmal vor Jahren ein solches Modellprojekt gestartet. Das war in der Tat am schwachen Mobilfunknetz im Oberland des Saale-Orla-Kreises gescheitert. Wir müssen prüfen, ob inzwischen die Abdeckung gut genug für ein solches Vorhaben ist.

Was kommt an Kosten auf die Sozialbranche zu?

Die Anbieter von digitalen Produkten werben damit, dass sie Kosten sparen können. Das wird sich zeigen müssen. Für die Dokumentation und Verwaltung rechne ich damit, dass die Digitalisierung tatsächlich hilft, Kosten einzusparen.

Warum ist dann ein Teil der Sozialbranche skeptisch?

Die größte Befürchtung ist, dass Fachkräfte durch Roboter oder andere technische Geräte ersetzt werden, so dass die menschliche Qualität der Arbeit,

die Beziehungsqualität der Arbeit und auch die fachliche Qualität der Arbeit verloren gehen und durch einen technisch diktierten Standard ersetzt werden.

Was wollen Sie mit dem Kongress erreichen?

Wir möchten die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren. Auch in der Wirtschaft ist die Digitalisierung in aller Munde. Viele Kongresse beschäftigen sich mit dem Thema Industrie 4.0.
Im Bereich der sozialen Arbeit haben wir den Eindruck, dass viele Mitarbeitende und Führungskräfte die Brisanz und Bedeutung des Themas noch nicht erkannt haben.
Die vielfältigen Aufgaben im Tagesgeschäft und die Veränderungen in den gesetzlichen Regelungen binden die Aufmerksamkeit derart, dass leider manche Zukunftsfrage nach hinten rückt.


Der Kongress am 11. Mai in Erfurt:

Die Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein lädt am 11. Mai 2016 zum sozialpolitischen Kongress „Mehrwert für Thüringen: Digitalisierung in der Sozialwirtschaft“ ein.

Der Kongress beginnt um 9 Uhr im Atrium der Stadtwerke Erfurt. Am Nachmittag finden verschiedene Fachforen statt.

Themen sind: „Lebensqualität im Alter: Versorgung durch Einsatz moderner Technik sichern“, „Digitalisierung als Herausforderung in der Eingliederungshilfe“,
„Bildung in Zeiten multi­medial vernetzter Kinderzimmer“ und „Methoden zur Unterstützung im Umgang mit Medien in der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit“.

Die Stiftung rechnet mit 300 bis 400 Teilnehmern.

Anmledung/Info: Susann Ludwig, Assistentin der Geschäftsführung, Tel. 036651 3989-10, S.Ludwig@diakonie-wl.de


Interview / Bild: Tino Zippel, OTZ