Um kaum einen Bestandteil des Verkehrsrechts ranken sich derart viele Mythen wie um die Medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), rechtliche Bezeichnung „Begutachtung der Fahreignung.“
Nach einem Führerscheinentzug durch Drogen, Alkohol oder anderes Fehlverhalten hinterm Steuer oder auch als Radfahrer oder Fußgänger, soll sie die künftige Tauglichkeit des zu ihr auferlegten Sünders ermitteln. Doch die Gerüchteküche ist dauerwarm und wird in zahlreichen Internetforen und durch Hörensagen angeheizt.
„Es muss definitiv keiner bei uns Kugeln stapeln“, räumte Verkehrspsychologin Annika Rassel vom Tüv Thüringen am Montagnachmittag mit einem der populärsten Irrtümer auf. Die Jenaer Gutachterin und Tüv-Sachbearbeiterin Jeannett Kühne waren von der psychosozialen Suchtberatungsstelle der Diakoniestiftung ins Haus der Diakonie nach Saalfeld eingeladen worden, um unter dem Titel „Der Weg zurück zum Führerschein“ Betroffene über alle Fragen rund um die MPU aufzuklären, Missverständnisse auszuräumen, rechtliche Rahmenbedingungen zu erläutern und Tipps zur Vorbereitung zu geben. Unter den Teilnehmern Männer und Frauen jeden Alters, Berufskraftfahrer und Privatfahrer.
„Für viele ist der Entzug der Erlaubnis ein beruflicher Einschnitt, der zum Beispiel nach Therapie und Reha den Wiedereinstieg ins Berufsleben stark erschwert“, weiß Beratungsstellenleiterin Kristina Röhlig aus ihrer Beratungspraxis im OTZ-Gespräch. Die Aufforderung zur MPU ergehe grundsätzlich in allen sozialen Schichten, ergänzt Annika Rassel. Studierte, Arbeiter, Mütter, Manager, Fahranfänger und alte Hasen. „Angst vor der MPU braucht keiner zu haben“, stellte Rassel klar. Denn entgegen hartnäckiger Annahmen diene sie eben nicht der Gängelung des Betroffenen, sondern dazu, ihn langfristig und nachhaltig für eine verantwortungsbewusste Teilnahme am Straßenverkehr zu ertüchtigen. Nicht bei allen, doch aber bei Vielen, sind Drogen oder Alkohol am Steuer der Grund für die MPU, einige waren abhängig, manche kennt Kristina Röhlig aus ihrer Arbeit in der Suchtberatung. Ebenso wichtig, wie mit der Droge abgeschlossen zu haben und das durch Abstinenzbelege mittels Urin-, Blut- und Haarproben beweisen zu können, sei aber auch die innere Arbeit an sich selbst.
Dazu diene bei der MPU nach einigen Reaktions- und medizinischen Tests das Gespräch mit einem Psychologen. „Wichtig ist eine kritische Auseinandersetzung mit sich und Fehlern der Vergangenheit“, so Rassel. Dazu gehöre auch, eine eventuelle Abhängigkeit überhaupt einzugestehen. Seit wann trinke ich? Warum habe ich am Tag der Fahrt getrunken? Wieso vertrage ich überhaupt mittlerweile so viel, wo andere sich in die Ecke legen und schlafen würden? Was will ich künftig anders machen und wofür? Scheinbar triviale Fragen, die erfahrene Psychologen im Vier-Augen-Gespräch feinfühlig aber bestimmt abklopfen. Von Eloquenz dürfen sie sich nicht beeindrucken lassen. „Sprachliche Fähigkeiten spielen keine Rolle. Es geht um den Willen zur Veränderung“, so Annika Rassel, die ihre Ausführungen mit Zahlen abschloss: Im Schnitt bestehen 58,8 Prozent der Betroffenen die MPI beim ersten Mal, 36,2 Prozent nicht, bei rund 5 Prozent gibt es eine Kursempfehlung, um Defizite abzubauen. „Was kostet mich das alles?“, fragte ein älterer Herr. Die Geldfrage variiere zwar nach Anbietern, etwa regionalen TÜVs oder der Dekra, doch die Werte, die Jeanett Kühne nennt, sorgen für kurzes Raunen in der Runde: Rund 650 Euro für eine MPU bei der es nur um Drogenfragen geht, über 700 für eine Kombi-MPU Drogen & Alkohol. Nachschulungskurse schlagen mit 300 bis 400 Euro zu Buche, eine optionale, aber nur selten erforderliche Fahrverhaltensbeobachtung im Fahrschulauto mit Fahrlehrer und Verkehrspsychologe etwa 230 Euro. Dazu kommen eventuelle Tests auf Drogenrückstände.
K., ein selbstständiger Saalfelder in mittlerem Alter, sieht in den MPUs vor allem „ein riesiges Imperium zum Geld verdienen“ seitens Dekra und Tüv, wie er unserer Zeitung nach der Veranstaltung verriet. Seine ersten beiden Anläufe bei Dekra und Tüv habe er nicht bestanden, jetzt probiert er es bei einem dritten Anbieter in Frankfurt am Main. „Ich habe in den Wartezimmern Schicksale von Menschen gehört, die finanziell und beruflich ruiniert waren!“ Denn die MPU sofort zu bestehen sei systemseitig gar nicht vorgesehen. Kristina Röhlig kennt K. „Der Fall ist mir vertraut. Aber es liegt wirklich an ihm selbst“, sagt sie. Eine überzeugende Geschichte und ein sprachgewandtes Auftreten hätten viele.
Bild (von links) : Beratungsstellenleiterin Kristina Röhlig, Verkehrspsychologin Annika Rassel, Jeannett Kühne und Suchttherapeutin Karola Hausdorf.
Text und Bild: OTZ, Robin Kraska / 16.10.18