/suche/

Sprechen über Corona in Saalfeld: „Wie hättest Du entschieden?“

Die Initiative #VerständigungsOrte hatte am 30. September zum Gesprächs-Austausch zum Thema „Lass uns reden … über Corona“ in das Jugend- und Stadtteilzentrum Saalfeld-Gorndorf eingeladen. 
Ziel der #VerständigungsOrte ist es, Menschen zu schwierigen Themen ins Gespräch zu bringen. Es geht um einen ehrlichen und offenen Austausch, der über die Filterblasen hinweg verbindet.

Mit diskutiert haben Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland, Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), sowie aus Saalfeld Margret Schmidt, Selbstständige Unternehmerin aus einem Tattoo-Studio, Nina Gloser, Kinder- und Jugendberatung der Diakonie, und Alice Neumeister, Ambulanter Hospizdienst der Diakonie. Die Moderation hat Pfarrerin Laura Krannich. 

Die Ostthüringer Zeitung berichtet am 2. Oktober:

Ein Satz aus dem Podium wurde nicht mit Widerspruch bedacht, sondern mit Beifall aus dem Publikum: „Die Menschen sind nicht an Corona gestorben, sondern an Einsamkeit.“
Ausgesprochen wurde dieser Satz von Alice Neumeister vom Ambulanten Hospizdienst am Dienstagabend im Saal des Stadtteilzentrums Saalfeld-Gorndorf und mit ihr im Podium standen Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland, Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Margret Schmidt, selbstständige Unternehmerin aus einem Tattoo-Studio sowie Nina Gloser, Kinder- und Jugendberatung der Diakonie. Die Moderation der Veranstaltung zum öffentlichen Austausch über die Corona-Pandemie hatte die Pfarrerin Laura Krannich.

Diese führte mit einem Zitat des Publizisten Kurt Tucholsky (1890-1935) ein: „Streitende sollten wissen, dass nie einer ganz recht hat und der andere ganz unrecht.“ Ziel der Veranstaltung zum Thema „Lass uns reden … über Corona“ solle sein, am Ende nicht einer Meinung zu sein, sondern sich besser zu verstehen.

Alice Neumeister: „Die Leute haben uns nicht mehr erkannt“
Das tut sicher Not, denn fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie stecke diese noch immer „in den Knochen“, stellte Bischof Kramer fest, der sich nach eigener Aussage später für den Slogan „Impfen ist Nächstenliebe“ entschuldigt habe. Weil nicht jedem die Nächstenliebe abgesprochen werden könne, der sich nicht impfen lassen wollte.

Tattoo-Studio-Betreiberin Margret Schmidt erinnert sich an die Ängste dieser Zeit. Sie musste ihr Studio schließen, was zu Existenzängsten führte. „Ich bin die Einzige, die Geld verdient.“ Zehn Monate habe sie nicht arbeiten können. Diese Zeit konnte nur überstanden werden, weil ihre Mutter und ihr Sohn ihre Ersparnisse hergaben. Gleichzeitig habe sie noch nie so viel Zeit mit ihren Lieben verbringen können. „Das kommt nie wieder“ Und: „Das bleibt.“

Jugendberaterin Nina Gloser findet, „dass die Jugendlichen am meisten zurückstecken mussten“. Sie verliest kurze Texte einer heutigen Gymnasiastin namens Nina: „Es war ein bedrückendes Gefühl, ich war allein zu Hause und kannte das Fernsehprogramm auswendig.“ Die Schülerin nach der Corona-Zeit: „Es gibt in meinem Kopf einen dunklen Ort, den ich vorher nicht gekannt hatte.“

Der Diakonie-Präsident Schuch, der erblindet Angst hatte, dass seine Augen-Operationen wegen Corona nicht stattfinden können, fragt sich heute: „Wir waren vielleicht zu vorsichtig? Haben wir Schuld auf uns geladen?“ Für Schuch ist klar: „Es wird irgendwann eine neue Pandemie geben.“ Er fragt: „Wie werden wir darauf vorbereitet sein?“ Es müsse über die Impfpflicht gesprochen werden „und das Recht, sich nicht impfen zu lassen.“

Alice Neumeister vom Ambulanten Hospizdienst, die während der Corona-Pandemie als Heimleiterin arbeitete, erinnerte nicht nur an die Einsamkeit der Heimbewohner in dieser Zeit, wenn auch die Perspektive der Heimbewohner schrecklich gewesen sein muss: „Die Leute haben uns nicht mehr erkannt“, wegen der Masken und der Kittel. Auch das Sterben ohne das Dabeisein von Angehörigen sei schlimm gewesen: „Die Abschiede fehlen.“

Aber auch das Leben der im Heim arbeitenden Menschen ist Alice Neumeister zufolge in den Blick zu nehmen. Es begannen Zehn- bis Zwölf-Stunden-Schichten, Ausfälle seien zu kompensieren gewesen. „Ich konnte für die Arbeit da sein, aber nicht mehr für zuhause.“

Es gab die Angst: „Was ist, wenn mit mir ´was ist?“
Nach den Beiträgen aus dem Podium wurde das Publikum von Moderatorin Laura Krannich aufgefordert, sich in Vierer-Gesprächsgruppen aufzuteilen. Dort erhielt jeder Teilnehmer genau zwei Minuten Zeit, um über seine Corona-Erfahrungen oder seine Corona-Erkenntnisse zu sprechen, ohne unterbrochen zu werden. Das Format erwies sich als sehr erfrischend und wurde von den Teilnehmenden gelobt.

Der Autor dieser Zeilen nahm an einer Gruppe teil, in der auch Tattoo-Studio-Betreiberin Margret Schmidt ihre Redezeit hatte. Sie erzählte, dass ihr Kind sich gern impfen lassen habe, trotz erster Meldungen über Impfschäden: „Mein Kind hat gesagt: Wenn ich eine Schmerztablette nehme, kann ich auch daran sterben.“ Sie selbst habe in dieser Zeit oft Angst gehabt, dass ihr Kind vielleicht allein zurückbleibt: „Was ist, wenn mit mir ´was ist?“

Nach den Vierer-Gesprächen empfahl Margret Schmidt den Anwesenden, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und sich in die Lage von Politikern und Verwaltungschefs hineinzuversetzen. Ihre an alle gerichtete Frage: „Wie hättest Du entschieden?“

Ihr Rat für die nächste Pandemie: Gute medizinische Aufklärung. „Auch medizinisch nicht so gut Gebildete müssen es verstehen.“

Text/Bilder: Guido Berg/OTZ